Mitgliederversammlung 23. Mai 2024 

Antrittsrede des neu gewählten Präsidenten Damian Müller

Anpacken und umsetzen für die nächste Medtech-Generation

(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrte Delegierte der Swiss Medtech-Mitglieder

Zunächst Ihnen allen einen ganz herzlichen Dank: Dir lieber Beat und Euch meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Vorstand, dass Ihr mich zur Wahl als Präsidenten empfohlen habt, und Ihnen – liebe Swiss Medtech Mitglieder – für Ihre unterstützende Stimme. Damit bringen Sie mir viel Vertrauen entgegen. Ich nehme Ihr Vertrauen nicht als Selbstverständlichkeit an, sondern mit Wertschätzung und grossem Dank.

Nachdem ich am 26. Mai des letzten Jahres von Ihnen als designierter Präsident in den Vorstand von Swiss Medtech gewählt wurde, erreichten mich zahlreiche Glückwünsche von Weggefährtinnen und Weggefährten. Sie freuten sich zusammen mit mir. Es gab aber auch die Besorgten «Damian, sag mal, warum tust Du das? Die Schweizer Medtech-Branche ist ein politischer Spielball zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Dazwischen wirst du zerquetscht.» 

Diese gut gemeinten, sorgenvollen Fragen regten mich freilich zum Nachdenken an. An meinem Engagement liessen sie mich jedoch keine Sekunde zweifeln. Es fiel und es fällt mir leicht, zu antworten, weshalb ich mich als Swiss Medtech-Präsident engagiere. 

Seien Sie gewiss. Ich trete das Amt mit viel Respekt und grosser Freude an,

  • gerade weil die Herausforderungen vielschichtig und komplex sind; 
  • gerade weil das europapolitische Umfeld anspruchsvoll ist;
  • gerade weil der internationale Konkurrenzkampf hart ist;
  • und insbesondere: weil kaum ein anderes Land der Welt so gut prädestiniert ist wie die Schweiz, die Chancen der Medizintechnik für Gesundheit, für Innovation und für Wohlstand zu nutzen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Schweiz das Potenzial hat, ihre Position als einer der attraktivsten Medtech-Standorte der Welt zu halten. Aber! Ich bin ebenso davon überzeugt, dass dafür sehr grosse Anstrengungen notwendig sind. Denn nichts ist selbstverständlich.

Vieles kommt uns in der Schweiz entgegen: 

  • Universitäten und Hochschulen von internationalem Renommee, 
  • das duale Bildungssystem, 
  • geclusterte Wertschöpfungsketten auf kleinem Raum, 
  • einerseits traditionsreiches, andererseits zukunftsorientiertes Know-how,
  • tiefe Steuern und 
  • schliesslich unsere Mentalität – namentlich unser Anspruch an Qualität sowie Präzision. 
  • Und vieles, vieles mehr.

Der internationale Konkurrenzkampf ist brutal. Das muss ich Ihnen – sehr geschätzte Unternehmerinnen und Unternehmer – nicht erklären. Sie wissen das nur zu gut. Was ich jetzt sage, ist keine neue Erkenntnis, aber wir müssen uns dies immer wieder in Erinnerung rufen: Will die Schweizer Medtech-Branche ihren Rang dauerhaft stärken, dann muss sie innovativer und produktiver sein als andere Länder der Welt, die genau das gleiche Ziel haben: die Attraktivsten zu sein.

Wir alle hier, welche sich für die Schweizer Medtech-Branche engagieren, stehen vor enormen Herausforderungen und Chancen. Beides zusammen mit Ihnen anzupacken, empfinde ich persönlich als grosses Privileg.

Im Rekrutierungsprozess des Direktionspostens wurde mir klar – es muss jemand aus der Industrie sein. Jemand aus Ihren Reihen, der oder die aus eigener Erfahrung weiss, womit die Branche zu kämpfen hat und worin ihre Chancen liegen. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Adrian Hunn, der das internationale Parkett kennt und dessen Herz – vielleicht gerade deswegen umso mehr – für den Standort Schweiz schlägt.

Ein Jahr im Vorstand

Lassen Sie mich ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern. Ich bin jetzt seit einem Jahr im Vorstand. Beat Vonlanthen hat mich engagiert und herzlich ins präsidiale Amt eingeführt. Gerne erzähle ich Ihnen – liebes Publikum –, wie es in diesem, von Ihnen gewählten, strategischen Gremium zu- und hergeht. 

Da wird bisweilen heftig debattiert. Wir sind nicht immer einer Meinung. Wie auch? Wir sind ein bunter Haufen, fast so divers wie die Medizintechnikindustrie selbst. So muss es auch sein. Wie sonst könnten Sie sich vertreten wissen? Und genau das ist die Aufgabe des Verbands. Die Interessen der gesamten Branche zu vertreten. Hersteller, Zulieferer, Händler, Dienstleister, global tätige Firmen mit Sitz in und ausserhalb der Schweiz, Startups, grosse, mittlere und kleine Firmen. Sie sehen – das ist keine leichte Aufgabe. Aber gerade diese Diversität macht die Branche zu dem, was sie ist. Es braucht jedes Rädchen in diesem Medtech-Getriebe. Es braucht Sie alle.

Beim Debattieren ist mir wichtig,

  • dass dies stets mit Anstand und Respekt geschieht; 
  • dass wir faktenbasierte, sachliche Diskussionen führen;
  • dass wir unterschiedliche Blickwinkel einnehmen;
  • und eben, dass wir am Ende im Interesse der gesamten Branche entscheiden.

Ich habe auch die Geschäftsleitungsmitglieder erlebt. Sie zeichnen sich durch viel Sachverstand in ihrem jeweiligen Fachbereich aus und dadurch, dass sie die Geschäfte zuhanden des Vorstands seriös vorbereiten und mit Herzblut vertreten. 

Viele von Ihnen hier im Publikum arbeiten in den Gremien von Swiss Medtech mit und bringen dort Ihre Expertise ein. Dafür danke ich Ihnen ganz, ganz herzlich. Ihre Arbeit ist wichtig und wertvoll. Auch als Diskussions- und Entscheidungsgrundlage für den Vorstand. Diesen Know-How-Transfer und Informationsaustausch braucht es auch in Zukunft, um sicherzustellen, dass der Verband und seine Mitglieder miteinander in die gleiche Richtung wirken.

Ziele und Motivation

Gestatten Sie mir nun einen Blick in die Zukunft: Was haben wir in den nächsten Jahren vor?

Erstens wollen wir uns zu einem nationalen Verband etablieren. 

Bislang ist Swiss Medtech zwar auf dem Papier ein nationaler Verband, nicht aber in der Realität. Diesen Namen müssen wir uns erst noch verdienen. Das Modell Swiss Medtech Ticino lässt sich nicht einfach eins zu eins auf die Romandie übertragen. Hier: ein Kanton = eine Sprachregion. Dort: siebe Kantonen, die ganz oder teilweise französischsprachig sind. Die stärkere Vertretung von Swiss Medtech in der Romandie ist schon lange eine Pendenz. Jetzt wollen wir sie mit der notwendigen Ernsthaftigkeit an die Hand nehmen. Die Umsetzung wird länger dauern als im Tessin aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage. Ich bin überzeugt, dass wir diese Ambition umsetzen können. Unsere neue Vorstandskollegin Katrin Siebenbürger Hacki wird dabei eine wichtige Rolle spielen. 

Ich rufe alle Vertreterinnen und Vertreter aus der Romandie hier im Saal auf, ihre Ideen, Vorstellungen, Wünsche und Erwartungen sowie Kontakte einzubringen. Melden Sie sich bei der Geschäftsstelle. Helfen Sie mit, dass wir dieses Ziel erreichen. 

Zweitens soll der Wert der Medtech-Branche noch viel bekannter werden. 

Wenn ich vom Wert der Branche spreche, dann spreche ich vom Wert Ihrer täglichen Arbeit. 

  • Die Schweizer Medizintechnik ist ein wachsender und bedeutsamer Industriesektor der Schweizer Wirtschaft.
  • Sie verzeichnet ein jährliches Umsatzwachstum von durchschnittlich sechs Prozent, was deutlich über dem gesamtschweizerischen BIP-Wachstum liegt.
  • Sie investiert rund 10 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung.
  • Sie beschäftigt 67’500 Menschen in unserem Land und schafft jährlich neue Arbeitsplätze. Inzwischen ist fast jeder hundertste Arbeitsplatz in der Schweiz in unserer Branche angesiedelt.
  • Die Schweizer Medizintechnik umfasst viele verschiedene Berufe und bringt neue hervor. Dies in einem sinnstiftenden Arbeitsumfeld. 
  • Unsere Branche ist hochinnovativ, zukunftsorientiert und dynamisch.
  • Und letztlich: Sie rettet mit ihren Produkten täglich Leben und verhilft Millionen von Menschen weltweit zu bestmöglicher Gesundheit und Lebensqualität.

Das ist stark! Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass dies bekannter wird. Positionieren heisst immer auch differenzieren. Es ist wichtig, dass wir den Eigencharakter der Medtech-Branche hervorheben. Zudem müssen wir die Medizintechnikindustrie fassbar machen, indem wir ihr Gesichter geben, indem wir Geschichten erzählen. Hier kommen Sie ins Spiel als wichtige Botschafterinnen und Botschafter.

Drittens wollen wir uns vehementer gegen wettbewerbs- und innovationshemmende Regulierungen wehren und das Gegenteil einverlangen. 

Kurz gesagt: Uns klar positionieren und die Rahmenbedingungen aktiv mitgestalten. Der Verband wird noch mehr als bisher, jede Abstimmungsvorlage und jede geplante Regulierung danach bewerten, ob sie negative oder positive Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit und Innovationskraft der Schweizer Medizintechnikindustrie hat und sich gegebenenfalls einmischen. 

Oft setzt die Musterschülerin Schweiz auf die europäischen Vorschriften noch eins obendrauf. Diesen Swiss Finish-Trend gilt es zu brechen. Und wenn das europäische Korsett zu eng ist, dann müssen wir uns Luft verschaffen. Die MDR (Medical Device Regulation) schnürt die gesamte europäische Medtech-Branche ein. Dabei brauchen wir das Gegenteil: nämlich mehr Handlungsspielraum. Viele unter Ihnen wünschten sich, dass die «Motion Müller» – wie Beat Vonlanthen sie genannt hat – bereits umgesetzt wäre und die Schweiz auch Medizinprodukte erlaubte, die von der FDA zugelassen sind. 

Glauben Sie mir: Wir sind dran und wir bleiben dran. Und hier erlaube ich mir, bereits ein Wort an unseren Ehrengast, Staatssekretärin Helene Budliger Artieda zu richten: Wir hoffen auf die Unterstützung des SECO. Anders als viele annehmen, geht es bei der besagten Motion nämlich nicht ausschliesslich um die Versorgung, sondern auch um Standortförderung. Es ist belegt: Innovationen werden immer häufiger zuerst in den USA zur Zulassung beantragt. Früher galt als Konsens, den Zulassungsprozess in Europa zu starten. Diese Zeiten sind vorbei. So gesehen, könnte man die «Motion Müller» auch als «Regulierung zur Standortförderung» betrachten. Es ist wichtig, diese zusätzliche Perspektive beim Bundesamt für Gesundheit, welches das Geschäft federführend verantwortet, einzubringen. Dies verwaltungsintern und von jemandem, der so überzeugend sein kann wie Du liebe Helene.

Der Verband hat seine Mitglieder in den letzten Jahren – zusammen mit vielen Dienstleistern unter unseren Mitgliedern, denen ich an dieser Stelle danke – mit einem «MDR-Fitness-Programm» unterstützt. 

Nach der MDR stehen mit den Regularien zum European Green Deal, zum EU-Datenraum sowie zur Digitalisierung bereits die nächsten regulatorischen Herausforderungen vor der Tür. Swiss Medtech wird alles daran setzten, Sie auch bei der Implementierung dieser Regularien zu unterstützen. 

Viertens wollen wir die Produktion, wenn immer sinnvoll, im Land behalten. 

In einem Hochlohnland wie der Schweiz steht die Medtech-Branche vor der Herausforderung, höchste Qualitätsstandards in der Produktion mit Wirtschaftlichkeit zu vereinen. Wie geht das? Ich zitiere hier sinngemäss meinen Vorstandskollegen Raphael Laubscher. Er muss es wissen, denn schliesslich führt er in sechster Generation erfolgreich ein Zulieferunternehmen: «Die Medtech-Industrie kann sich im Spannungsfeld von zunehmender Produktindividualisierung und Serienanfertigung punkto Gesamtkosten dann profilieren, wenn es ihr gelingt, ihre Kernprozesse konsequent auf Effektivität und Effizienz auszurichten.». Die Schweiz ist prädestiniert, die Digitalisierung in diesem Sinne der Prozessoptimierung und Automatisierung zu nutzen. Das ist Sache der Unternehmerinnen und Unternehmer. 

Bei all dem wissen wir aber auch: Das wichtigste Kapital sind und bleiben die qualifizierten Köpfe und Hände. Unsere Fachkräfte. Der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel ist meine grösste Sorge für die Branche und betrifft nicht nur akademische Berufe, sondern eben auch produktionsnahe Lehrberufe. Deshalb: Wir werden uns für die medtech-spezifische überbetriebliche Aus- und Weiterbildung einsetzen. Wir brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Fähigkeiten, die für das Medtech-Geschäft von morgen unerlässlich sind. 

Fünftens wollen wir Innovationen schneller zu den Patientinnen und Patienten bringen. 

Es geht nicht an, dass Medizinprodukte erst fünf Jahre oder noch später nach Markteinführung vergütet werden oder gar nicht. Wir werden uns für schnellere Prozesse und neue Vergütungsmodelle – etwa für digitale Gesundheitsanwendungen – einsetzen. 

Beat Vonlanthen hat die Medtech-Preise angesprochen. Ja, wir halten die Diskussion über Kosten für wichtig, werden uns aber ganz stark dafür einsetzen, dass sie nicht isoliert von Leistung und Qualität geführt wird. Das ist, als würde man über die Kosten einer Pralinenschachtel diskutieren, ohne zu wissen, ob überhaupt Pralinen in der Schachtel drin sind und falls ja, wie viele und welche Sorte. 

Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden, wenn wir das Gesundheitswesen weiterentwickeln wollen. Ein Diskurs, der sich auf die Kosten der Gesundheitsversorgung beschränkt, greift zu kurz. Auch das Denken in Silos ist völlig veraltet. Ziel muss es sein, mit einem effizienten Einsatz der Mittel möglichst viel Gesundheit zu schaffen und zu erhalten. Und zwar über den gesamten Behandlungspfad hinweg. Dieser Ansatz schliesst auch Dimensionen wie Selbstständigkeit, Mobilität, Arbeitsfähigkeit und Teilhabe am sozialen Leben ein. Kürzere Eingriffe und Spitalaufenthalte und die Vermeidung von Folgebehandlungen gehören ebenfalls mit in diese Gesamtbewertung.

Sechstens und zu guter Letzt wollen wir die Kontakte in die Politik, die Wirtschaft, das Gesundheitswesen und die Akademie intensivieren. 

Denn eines ist klar. Unser Zielbild «Medtech-Standort Schweiz 2030» können wir nicht mit alleiniger Kraft umsetzen. Wir brauchen diesen Schulterschluss, um die Schweizer Medtech-Branche im internationalen Wettbewerb als treibende Kraft zu erhalten und zu stärken.

In diesem Sinne wollen wir Swiss Medtech in den nächsten Jahren zu einem gewichtigen Wirtschaftsverband weiterentwickeln und etablieren.

Wir haben mitzureden: bei der medtech-relevanten Bildung, bei der Forschung und Entwicklung, bei der Innovation und deren Translation in marktfähige Produkte sowie bei der Gesundheitsversorgung. 

In einem Satz gesagt: Es geht darum, die Zukunft der Schweizer Medizintechnik aktiv mitzugestalten. Es geht um die nächste Generation.

Als Präsident möchte ich zur Erreichung dieser Ziele aktiv beitragen – und zwar in enger Zusammenarbeit mit Ihnen allen! 

Ich freue mich sehr darauf. Vielen herzlichen Dank!