Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung
1. Ausgangslage
- Die Schweiz akzeptiert heute für die nationale Versorgung ausschliesslich Medizinprodukte, die mit der Medizinprodukte-Regulierung der Europäischen Union (EU) übereinstimmen, d.h. die CE-gekennzeichnet sind.
- Die Schweizer Medizintechnik wird von der Europäischen Union (EU) seit dem 26. Mai 2021 – dem Tag, an dem die Schweizer Regierung die Verhandlungen zum institutionellen Abkommen mit der EU (InstA) abbrach und an dem die verschärfte EU-Verordnung über Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR) Gültigkeit erlangte – als Drittstaat eingestuft.
- Um den gegenseitig privilegierten Zugang für Medizinprodukte wieder zu erlangen, ist die Aktualisierung des Mutual Recognition Agreements (MRA) Voraussetzung. Die EU macht die MRA-Aktualisierung von einer Lösung im Bereich der institutionellen Fragen abhängig. Diese sind zeitlich und materiell sehr ungewiss.
- Als Folge des Drittstaat-Modus sind die Schweizer Behörden aus dem Marktüberwachungssystem der EU ausgeschlossen (z.B. kein Zugang zur europäischen Datenbank EUDAMED). In der Schweiz gibt es zudem keine europäische Zertifizierungsstelle mehr. Schweizer Hersteller sind für die Zertifizierung ihrer Produkte in jedem Fall auf Stellen im Ausland angewiesen.
2. Herausforderung
Die Schweiz steht vor drei zentralen Herausforderungen:
- Die nationale Versorgung der Bevölkerung mit Medizinprodukten nachhaltig sicherzustellen – in Bezug auf deren Qualität, Vielfalt sowie Verfügbarkeit,
- innovative Medizinprodukte rasch zu den PatientInnen in der Schweiz zu bringen,
- und die Innovationskraft der Schweizer Medizintechnikbranche weiter zu stärken.
3. Lösungsansatz
Die Schweiz akzeptiert nebst Medizinprodukten gemäss Zertifizierungssystem der EU auch Medizinprodukte aus aussereuropäischen Regulierungssystemen. Dies soll insbesondere für von der US Food and Drug Administration (FDA) zugelassene Medizinprodukte der Fall sein.
4. Begründung
Den Handlungsspielraum ausweiten: Weitere Zulassungssysteme anerkennen
Die Schweiz ist aufgrund ihrer Grösse und der verfügbaren personellen Ressourcen nicht in der Lage, sich mit den benötigten Medizinprodukten selbst zu versorgen. Sie ist für die nationale Gesundheitsversorgung sowohl bei der Herstellung als auch bei der Prüfung und bei der Inverkehrbringung von Medizinprodukten auf das Ausland angewiesen. Die Schweiz akzeptiert bis heute ausschliesslich Medizinprodukte mit einer CE-Kennzeichnung. Eine Ausweitung auf Produkte aus aussereuropäischen Regulierungssystemen und insbesondere auf von der FDA zugelassene Medizinprodukte würde den Handlungsspielraum vergrössern und wäre im Sinne einer optimalen Versorgung der Schweizer Bevölkerung.
Mit der Digitalisierung Schritt halten: Rascher Zugang zu neuen, innovativen Technologien
Die Medizintechnik ist eine Innovationsbranche. Sie zeichnet sich durch einen rasanten Fortschritt aus. Um den raschen Zugang der Bevölkerung zu den neuesten Medizinprodukten sicherzustellen, müssen Regulierungen mit der technologischen Entwicklung Schritt halten. Gerade für die zukunftsweisenden digitalen Technologien wie «Artificial Intelligence» und «Software als Medizinprodukt» gibt es Regulierungen, die fortschrittlicher sind als die MDR und die Zulassungsverfahren entsprechend schneller. In Deutschland und Frankreich, die zusammen für über fünfzig Prozent des Medizinproduktemarktes in der EU stehen, sprechen ExponentInnen mit Blick auf die Problematik bei der MDR-Umsetzung von einem «rückwärtsgewandten System». Die FDA hat sich vergleichsweise gut auf die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, eingestellt. Von der FDA zugelassene innovative Technologien stünden dem Schweizer Gesundheitssystem schneller zur Verfügung.
Innovationskraft der Schweiz stärken: Freiheit, die passende Regulierung zu wählen
Die Implementierung der MDR bindet personelle und monetäre Ressourcen, die für die Entwicklung von Innovationen fehlen. Grund dafür ist u.a. die durch die MDR verursachte Überregulierung. Oft gehört ist der Satz «MDR is killing innovation». Haben Schweizer Hersteller die Möglichkeit, sich für dasjenige Zulassungssystem zu entscheiden, das am besten zur Technologie ihrer Innovationen passt, stärkt dies die Innovationskraft der Branche und damit der Schweiz. Viele Schweizer Start-ups und KMU setzen aus den genannten Gründen vermehrt auf eine Erstzulassung durch die FDA, was zur aktuell unhaltbaren Situation führt, dass innovative Schweizer Produkte ausländischen Bevölkerungen zur Verfügung stehen, der eigenen Bevölkerung hingegen nicht.
Versorgungssicherheit nachhaltig sichern: Sicherheit bezieht sich auf die Qualität, Vielfalt und Verfügbarkeit von Medizinprodukten
Die MDR verlangt, dass alle Medizinprodukte – bestehende und neue Produkte – neu zertifiziert werden müssen. Bei der Umsetzung der MDR gibt es aktuell europaweit vielfältige Probleme. Der Mangel an Prüfstellen führt zu massiven Verzögerungen sowohl bei den Re-Zertifizierungen als auch den Neu-Zertifizierungen. Aufgrund der hohen administrativen Anforderungen der MDR ist zudem mit einer massiven Reduktion des Produktportfolios zu rechnen. In Europa bahnt sich ab 2024 eine einschneidende Verschlechterung der Patientenversorgung an. Die Schweiz sollte nicht warten, bis der Schaden eintrifft, sondern vorausschauend handeln und ihren Radius zur Beschaffung von Medizinprodukten vergrössern. Nur so kann die nationale Versorgung mit Medizinprodukten langfristig gesichert werden.
5. Forderung an Politik und Verwaltung
Die nationale Gesetzgebung ist so anzupassen, dass auch Medizinprodukte aus qualitativ vergleichbaren aussereuropäischen Regulierungssystemen akzeptiert werden können. Dies gilt insbesondere für Medizinprodukte, die von der US Food and Drug Administration (FDA) zugelassen sind. Abwarten, bis die Bundesverwaltung Abklärungen vorgenommen hat, unter welchen Voraussetzungen eine Anerkennung aussereuropäischer Regulierungssysteme an die Hand zu nehmen ist, wie es der Bundesrat in seiner ablehnenden Position zur Motion 20.3211 (Damian Müller) schreibt, ist keine Option. Im Interesse der Versorgungssicherheit und der Innovationsfähigkeit der Schweiz muss jetzt gehandelt werden. Aus allen diesen Gründen empfiehlt Swiss Medtech die Annahme der Motion 20.3211.